Wie bereits berichtet ist es in Sommerein (Bezirk Bruck an der Leitha) zu Hangrutschungen und Bodenbewegungen gekommen, durch die etliche Einfamilienhäuser schwer beschädigt wurden. Die jeweiligen Elementarschadenversicherungen haben die Deckung abgelehnt und vertreten die Ansicht, dass kein „Erdrutsch“ vorliege, sondern „vertikale Bodenbewegungen“. (Details zum rechtlichen Hintergrund siehe Bericht vom 22.1.2024 https://www.sailer-schoen-nagy.at/news/detail/news/zerbrechende-haeuser/).
In einem der laufenden Verfahren wurde in einem klagsstattgebenden Urteil richtigerweise folgendes festgehalten:
Die Schäden an dem Einfamilienhaus sind Risse, Absenkungen, Verdrehungen, Kippungen und Feuchteeintritte. Das Schadensbild stellt sich so dar, dass die straßenseitige Fassade im Sockelbereich auf fast der ganzen Länge mit horizontalen Rissen überzogen war bzw. immer noch ist. Der Putz ist nach vorne geschoben, die Risse klaffen auf.Der Schaden ist primär durch Hangbewegungen entstanden.
Auf Basis des eingeholten Sachverständigen-Gutachten hat das Gericht festgestellt:
Die Schäden am Gebäude der klagenden Parteien sind jedenfalls auch auf oberflächennahe und/oder tiefgründige hangabwärts gerichtete Kriechbewegungen zurückzuführen. Die Schäden wurden durch Bodenhebungen und Senkungen verursacht, die auf Quellen und Schrumpfen des smektitreichen Untergrundes zurückzuführen sind. Rotationsrutschungen führen durch die Geometrie der Gleitfläche im oberen Bereich (Anriss) zu Bodensenkungen und im unteren Bereich (Stirn) zu Bodenhebungen. Bei Translationsrutschungen bewegt sich ein Schichtpaket von ±gleichbleibender Mächtigkeit auf einer schiefen Ebene.
Die beklagte Partei (Versicherung) brachte zunächst vor, dass es sich um Setzungsschäden handeln würde, die nicht vom Versicherungsschutz umfasst seien und die Kläger überhaupt nicht nachweisen konnten, dass ein versichertes Risiko eingetreten sei. Dazu hat das Gericht ausgeführt:
Zudem stehen den Versicherungsnehmern beim Nachweis des Versicherungsfalls in der Schadensversicherung aber ohnehin wegen der großen Beweisschwierigkeiten Beweiserleichterungen zu. Es reicht, wenn der Versicherungsnehmer ein Mindestmaß an Tatsachen beweist, die das äußere Erscheinungsbild eines Versicherungsfalls bilden (RIS-Justiz RS0102499). Die klagenden Parteien haben nachgewiesen, dass die Schäden an dem Eigenheim der klagenden Parteien auf in Bewegung geratene Erdmassen zurückzuführen sind. Der Gerichtssachverständige spricht weiters von Rotations- und Translationsrutschungen. Die Privatgutachter sprechen von Hangkriechen/Hangrutschung (./N). Es konnten daher mit der für ein Zivilverfahren ausreichenden sehr hohen Wahrscheinlichkeit oberflächennahe und/oder tiefgründige Erdmassenbewegungen als Schadenursache festgestellt werden. Wie dies in Sinne der Versicherungsbedingungen zu qualifizieren sind, ist eine Rechtsfrage.
Die beklagte Partei blieb weiterhin bei ihrer Ansicht, dass im Wesentlichen „Setzungsschäden“ die Schadensursache seien und keine Rutschungen festgestellt worden seien, zudem die bisher privat bzw. von der Gemeinde eingeholten Sachverständigengutachten „nicht aussagekräftig“ seien, die Gutachter teilweise „keine gerichtlich beeideten Sachverständigen“ seien.
Weiters erstattete die beklagte Partei das durchaus kreative Vorbringen, dass in der Bestimmung Artikel 1 Z 8 lit d der AStB 2012 erwähnte Wort „Erdrutsch“ offenbar irrtümlich in die Bestimmung aufgenommen worden sei. Dabei handle es sich um ein offenbares „Redaktionsversehen“. In den AStB 2015 zeige sich bereits, dass das Wort „Erdrutsch“ nicht mehr erwähnt sei.
Es war daher vom Gericht die Frage zu beantworten, ob es sich bei den schadenskausalen sowohl oberflächennahen als auch tiefgründigen hangabwärts gerichteten Kriechbewegungen/in Bewegung geratenen Erdmassen um einen vom Versicherungsschutz gedeckten „Erdrutsch“ oder einen anderen erfassten Versicherungsfall iSv der Eigenheim-Versicherung (Top Exklusiv) samt AStB handelt.
Das Gericht führte in seiner rechtlichen Beurteilung dazu aus:
Schon nach allgemeinen Sprachregeln ist ein Erdrutsch als naturbedingtes Ereignis zu verstehen, was im gegenständlichen Fall vorliegt.
Aus der NÖ Gefahrenhinweiskarte (die vom Land NÖ zwischen 2009 und 2014 mit statistischen Methoden entwickelt wurde) ergibt sich, dass ein Hangkriechen in und um Sommerein bereits in diesem Zeitraum dokumentiert war. Auf der vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus bereitgestellten Gefahrenhinweiskarte Rutschungen (www.hora.gv.at) ist ersichtlich, dass das Grundstück Kuppelstand 4 in der „Rutschanfälligkeitsklasse 3 - mittlere bis hohe Anfälligkeit zu Rutschungen" liegt. Der im Zusammenhang mit der dieser Gefahrenhinweiskarte Rutschungen verwendete Begriff ,,Rutschungen" umfasst gravitativ bedingte Hang- bzw. Massenbewegungen (Hervorhebung durch das Gericht) von Locker- und Festgesteinen in Form von Gleiten, Kriechen oder Fließen (z.B. Rotationsrutschungen, Translationsrutschungen, Hangkriechen, Hangmuren). Von Erdmassenbewegungen, Rotations- und Translationsrutschungen spricht der Gerichtssachverständige auch.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung nach §§ 914 und 915 ABGB auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063; RS0112256).
Im Hinblick darauf erschließt sich aufgrund der ausdrücklichen Formulierung für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer klar und eindeutig, dass im gegenständlichen Fall in Bewegung geratene Erdmassen im Sinne eines dynamischen Prozesses (und nicht einer bloß statischen Krafteinwirkung) vorliegen. Ein solcher dynamischer Abwärtsprozess liegt aufgrund der Hebung und Senkung in Form eines Sägezahnmusters vor, sodass ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer dies unter den Begriff der „Felssturz - Steinschlag- oder Erdrutschschäden“ entsprechend den Versicherungsbedingungen subsumiert. Bereits hier liegt für das Gericht der Versicherungsfall wieder vor.
Der Begriff „Erdrutsch“ ist auch im Hinblick auf die Unklarheitenregel nach § 915 ABGB zugunsten der Versicherungsnehmers weit auszulegen, zumal diese auch einen großen Interpretationsspielraum offen lassen und es im Rahmen der Versicherungsbedingungen dazu keine weiteren Erläuterungen gibt. Ein Hangkriechen erfüllt bereits die Definition eines Erdrutsches. Dieses Hangkriechen (bzw. Kriechprozesse) liegt als Schadenursache vor. Derartige Kriechprozesse lassen sich auch unter den Begriff „Erdrutsch“ im Sinne der Versicherungsbedingungen subsumieren. Wenn schon Sachverständige diese Erdmassenbewegungen als Hangkriechen, Rutschungen, etc bezeichnen und da genaue Abgrenzungen treffen, aber sich dabei durchaus nicht gänzlich einig sind, kann von einem durchschnittlich verständigen Erklärungsempfänger, der gerade eben kein spezialisierter Geologe ist, nicht verlangt werden, dass er diese Prozesse unterscheiden kann.
Auf den Punkt bringt es folgende Beurteilung des Gerichts:
Vielmehr ausschlaggebend für den Versicherungsnehmer ist wohl, dass er versichert ist, wenn sich die Erde zu bewegen beginnt, ob das geologisch rutschen, gleiten, etc genannt, und ob dies auf tektonisch ganz unterschiedliche Art wie verschieben, quellen, schrumpfen etc zurück zu führen ist, ist wohl für diesen gleichbedeutend. Die Erde bewegt sich naturbedingt, ohne menschliche Einflussnahme wie Bauarbeiten oder Ähnliches. Eine andere Interpretation für den Erklärungshorizont eines Versicherungsnehmers anzunehmen, wäre wohl überspannt, müsste man doch dann für jeden Punkt der Versicherungsbedingungen einen entsprechenden Sachverständigen für Geologe, Wetter, Bau, etc beauftragen, bevor man einen Vertrag mit einer Versicherung schließt. Auch unter diesem Gesichtspunkt hat sich das versicherte Risiko daher verwirklicht.
Unter dem Begriff „Erdrutschschäden" sind solche Schäden zu verstehen, die durch die „unmittelbare Einwirkung von in Bewegung geratenen Erdmassen verursacht wurden." (7 Ob 101/17d).
Zusammenfassend erachtet das Gericht daher die festgestellten Schäden am Gebäude der klagenden Parteien als vom Versicherungsschutz umfasst.
Derzeit sind noch vier Gerichtsverfahren anhängig: eines in erster Instanz, eines in zweiter Instanz und zwei bereits beim Obersten Gerichtshof. Ein weiteres Verfahren wird von einem anderen Klagevertreter geführt (ebenfalls derzeit beim OGH anhängig).
ORF Schauplatz Gericht: https://on.orf.at/video/14210698/Am-Schauplatz-Gericht-Zerbrechende-Haeuser